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Konzept "Tartaros – Riga 30. November 1941 – MenschMordMaschine"

Eine Installation zu dem Ausstellungsobjekt: Transportliste der „abzuschiebenden Juden“ der Stadt Tübingen im Stadtmuseum.

Anlass

 

Von Juli 2017 bis Januar 2018 fand im Stadtmuseum Tübingen die Dialogausstellung "Mensch - Machine" statt. Jede*r der beteiligten Künstler*innen bezog sich, mit Bezug auf das Ausstellungsmotto, auf ein Exponat der Dauerausstellung.
Mein Bezug war die Transportliste der „abzuschiebenden Juden“ der Stadt Tübingen.
Meine persönliche Motivation: Ein Jahr zuvor war ich zufällig im Jüdischen Museum der Stadt Riga auf Zeitzeugenberichte zu dem Massenmorden an Jüdinnen und Juden in den Jahren 1941/42 gestoßen. Dann, auf der Suche nach einem Objekt für die Ausstellung "Mensch - Maschine" auf die ausgewählte Deportationsliste, die in direktem Zusammenhang mit den Morden in Riga steht.

 

Da ich mich seit einiger Zeit auch künstlerisch in einer losen Reihe von Bildnerischen Arbeiten und Installtionen unter dem Titel "Meines Vaters Land" mit der Zeit des Nationalsozilismus auseinandersetze, hatte ich mein passendes Objekt für die Ausstellung gefunden.

Historischer Hintergrund

Am 31. Juli 1941 beauftragte Hermann Göring den Chef der Sicherheitspolizei und des Sicherheitsdienstes (SD), Reinhard Heydrich, mit der Vorbereitung zur „Gesamtlösung der Judenfrage“. Ab Mitte Oktober 1941 begann die Deportation der Juden aus dem Reichsgebiet in die Ghettos Kowno, Lodz, Minsk und Riga, ab Mitte 1942 in das Ghetto Theresienstadt.
Die Zentrale Datenbank der Namen der Holocaustopfer (Beta) von Yad Vashem verzeichnet namentlich insgesamt 250.171 Juden, die mit Riga in Verbindung stehen, davon namentlich 212.132 jüdische Bürgerinnen und Bürger Rigas, von denen die allermeisten ermordet wurden.

Zu Anfang der 1930er Jahre zählte die jüdische Gemeinde Tübingens rund 100 Mitglieder.
7 der 21 (u.a. ehemaligen) Tübinger Juden, wurden am 1.12.1941 nach Riga deportiert.

Die Installation zum Thema Mensch – Maschine

Warum in diesem Zusammenhang gerade Riga?

 

Das Ghetto in Riga wurde „freigemacht“, um für deportierte Juden aus dem >>Deutschen Reich<< Platz zu gewinnen.

Das Morden in den Vernichtungslagern des >>3. Reiches<<, lässt die Assoziation von Tötungsfabriken aufkommen. Die Installation stellt nun einen direkten Bezug zum einzelnen Menschen her, als Teil dieser Ermordungsmaschinerie.
So wurden am 30. November 1941 etwa 15.000 und am 8. und 9. Dezember noch einmal 12.500 Menschen, an den eigens dafür ausgehobenen Gruben in den Wäldern von Rumbula bei Riga, erschossen.

Walter Bruns (Kommandeur des Brückenstabes Riga) hat im Verlauf der Nürnberger Prozesse folgende Aussage bezeugt: „Die ganze Sache hat etwa drei Tage gedauert. Jede Stunde hat etwa 1200 bis 1500 Menschen das Leben gekostet, und die Erschießung ging zehn Stunden am Tage.“

Das Vorgehen zeigt, dass diese ungeheuerliche Vernichtungsaktion, von Anfang bis Ende, logistisch bis ins Detail durchgeplant gewesen sein musste. Den Ablauf muss man sich zwangsweise wie ein Töten am Fließband vorstellen, ausgerichtet an einer Effizienz, der von der Planung, über den Befehl bis zur Ausführung hin, jegliches Menschliche fehlt. Das Töten als mechanisierter, maschineller Vorgang. Die „Räder“ dieses Tötungsmechanismus müssen reibungslos ineinandergegriffen haben, ansonsten wäre diese unvorstellbare Zahl von Mordopfern durch Erschießung an den

3 genannten Tagen gar nicht denkbar. Versucht man sich die Auswirkungen auf die Täter, insbesondere auf die Soldaten der Erschießungskommandos vorzustellen, bleibt eigentlich nur der Schluss, dass sie jegliche menschliche Regung abgespalten haben müssen. Dass sie ein funktionierender Teil der Tötungsmaschine Mensch wurden. Ein Teil der Mechanik, die vom Abmarsch aus dem Ghetto, dem Bewachen der auf ihre Ermordung Wartenden, bis zur Heranführung (Treibung) an die Leichengräben, dem Erschießen und anschließenden Durchladen der Gewehre für die nächsten Opfer, nahezu reibungslos gelaufen sein muss.

Zum Titel der Installation

Sicher lassen sich für eine künstlerische Auseinandersetzung mit diesem Thema (wie etliche Arbeiten der Vergangenheit gezeigt haben) verschiedenste treffende Titel wählen. Ich habe für diese Arbeit den Titel „Tartaros“ gewählt, da ich denke, dass das Nationalsozialistische Deutschland mit dem Holocaust den tiefsten Punkt in der Geschichte der Menschheit erreicht und so „das Tor zur Hölle aufgestoßen“ hat. Deutschland hat mit dieser Zeit sozusagen für sich, seine Täter und seine Opfer seine ureigene Hölle, seinen Tartaros erschaffen.

Tartaros ist in der griechischen Mythologie ein personifizierter Teil der Unterwel, der noch unter dem Hades liegt. Er ist angeblich so tief, dass ein Amboss, der von der Erde zum Tartaros hinab fiel, neun Tage brauchte, um ihn zu erreichen; genauso lange, wie der Amboss benötigte, um vom Himmel bis zur Erde zu gelangen.
Tartaros ist der Strafort der Unterwelt. In Platons Phaidon wirft „ihr gebührendes Geschick“ diejenigen in den Tartaros, die „häufigen und bedeutenden Raub an den Heiligtümern begangen oder viele ungerechte und gesetzwidrige Mordtaten vollbracht haben oder anderes, was dem verwandt ist“. Sie werden daraus nie wieder heraufsteigen.
In der Bibel wird der Begriff Tartarus ebenfalls verwendet. Im griechischen Urtext ist er belegt. Die Bibelstelle bezieht sich auf den Ort, in den die abgefallenen Engel, Dämonen von Jachweh verbannt wurden und dort bis zum Gericht eingeschlossen sind. Gleichzeitig scheint Tartarus ein Synonym für Abgrund zu sein.

 

​Aufbau der Installation und ihre Bezüge

Die Installation wurde im Obergeschoss im Schauraum zum Nationalsozilismus präsentiert und zu den Ausstellungsgegenständen in Beziehung gesetzt.
Die Wandfläche und der Zwischenraum bis zum Tisch davor wurde für die Installation genutzt. Auf dem Tisch befindet sich der Schaukasten, der u.a. das Dokument „Transportliste …“ beinhaltet (1)

(1) durch Anordnung und inhaltliche Bezüge wird das Dokument Teil der Installation

(2) Fotomontage auf MDF-Platte (ca. 150 x 100 cm) ergänzt durch 2 Zahnräder (Metall) aufmontiert – Planung und hier im Entwurf auf Seite 2 – endgültige Montage kann noch etwas abweichen und wird erst nach der Jurierung erstellt

  • Fotos verfremdet, überblendet, teilweise invertiert – Züge, Güterwagons, Bahngleise stehen für die Deportation

  • Gruppe von Menschen unten links für die Deportierten

  • Teilweise Wiedergabe der Tübinger Deportationsliste greift den direkten Bezug zum ausgestellten Objekt des Stadtmuseums auf

  • Menschen im KZ im Hintergrund oben stehen für die Ermordeten

  • Erschießungsszene im Vordergrund steht für die Ermordung

  • Zahnräder innerhalb der Fotomontage stehen für das reibungslose Ineinandergreifen der mechanisierten, maschinellen Tötungsabläufe

  • Ergänzt wird dies durch die Objekte, die auf den Sockeln vor dem Wandbild platziert sind.
    Aufmontierte Zahnräder: durch die sichtbare Schwere und die verwitterte Oberfläche des Metalls, wird der Aspekt „TötungsMaschineMensch“ im Kontext der Fotomontage in eine weitere haptische Qualität überführt.

  • Munitionskiste (Original deutsche Wehrmacht), gefüllt mit leeren Patronenhülsen ergänzt und unterstreicht den Aspekt der Massentötung - "die Arbeit" ist getan.

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